Der BSW-Politiker Thomas Geisel und der Historiker Yotam Givoli sehen die Sanktionierung und Isolation Russlands im Zusammenhang mit dessen Annäherung an „antiwestliche“ Kräfte. Liegt darin die Hoffnung für Stabilität im Nahen Osten? Ein Gastbeitrag von Thomas Geisel und Yotam Givoli.
Eines der Hauptmerkmale der Ampelregierung ist ihre Unfähigkeit zu erkennen, wie Dinge miteinander zusammenhängen. Um nur ein paar zu nennen: die wachsende Popularität der AfD mit ihrer eigenen Politik, die Flüchtlingsströme nach Europa mit den EU-Sanktionen sowie die wachsende Staatsverschuldung in anderen EU-Ländern mit den Überschüssen von Unternehmen, privaten Haushalten und des Staatsetats im eigenen Land. In einer globalen und vernetzten Welt ist das ein Problem.
Ein weiterer Zusammenhang, den die Ampelregierung fatalerweise nicht erkennt, ist die Verbindung der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten.
Je mehr Russland in Folge seines Angriffs auf die Ukraine durch immer neue Sanktionen in Europa isoliert wird und Schritt für Schritt ein neuer Eiserner Vorhang in Europa zugezogen wird, desto mehr wächst die Neigung und der Druck in Moskau, engere Beziehungen mit antiwestlichen Kräften im Nahen Osten zu knüpfen, an die sich Russland bislang aus nachvollziehbaren Gründen zu binden weigerte.
Ohne den Krieg in der Ukraine und seine Folgen wäre es wohl kaum dazu gekommen, dass Russland Allianzen mit „Schurkenstaaten“ wie Nordkorea oder dem Mullah-Regime und seinen Revolutionsgarden im Iran schmiedet.
Auch die Verbindungen zu den mit ihnen verbundenen Terrororganisationen Hamas, Hisbollah, den Huthi-Milizen und gleichgesinnten Milizen im Irak und Syrien, die sich selbst als „Achse des Widerstands“ (Axis of Resistance) verstehen, wären wohl höchst unwahrscheinlich.
Tatsächlich hat „der Krieg in der Ukraine zu einem noch nie dagewesenen Ausmaß an russisch-iranischer Zusammenarbeit im militärischen, wirtschaftlichen und politischen Bereich geführt“, wie es in einem Artikel des European Council on Foreign Relations auf den Punkt gebracht wird. Seit Beginn des Krieges haben die beiden Länder ihr gemeinsames militärisches Training und ihren militärischen Know-how-Transfer intensiviert, ihre diplomatischen Aktivitäten koordiniert und gegenseitig unterstützt und voneinander hoch entwickelte Waffensysteme angeschafft, die von elektronischen Störsendern und Luftabwehrtechnologien über Drohnen und Raketen bis hin zu Kampfjets reichen.
Für Dina Esfandiary, eine langjährige Expertin für die russisch-iranischen Beziehungen, ist „es höchst unwahrscheinlich, dass Moskau ohne den Krieg in der Ukraine an Teherans Tür geklopft hätte“, wie sie in einem Aufsatz schreibt, der unlängst in Foreign Affairs veröffentlicht wurde. Denn die bisherigen Beziehungen zwischen Russland und dem Iran sind „eine bewegte Geschichte des Misstrauens und des Verrats“. Beide Staaten verfolgten unterschiedliche Ziele in Syrien und waren scharfe Konkurrenten auf den globalen Öl- und Gasmärkten.
Auch für Russlands Verhältnis zu Israel bedeutet die Annäherung an den Iran und die von ihm gesteuerten islamistischen Milizen eine tiefgreifende Veränderung.
So sei daran erinnert, dass Russland bis zum Beginn des Ukraine-Krieges und seiner damit zusammenhängenden Isolierung regelmäßig ein Auge zu drückte, wenn Israel iranische Konvois mit militärischem Nachschub für die Hisbollah bombardierte. Und auch auf die historisch guten Beziehungen Russlands mit der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) und mit gemäßigten arabischen Staaten wie Ägypten, Saudi-Arabien und den Golf-Emiraten dürfte die militärisch-diplomatische Zusammenarbeit zwischen Russland und dem Iran nicht ohne Wirkung bleiben.
Jedenfalls dürfte es bis auf Weiteres vorbei sein mit der Unterstützung der PA gegen die Versuche der Hamas, deren Macht im Westjordanland zu untergraben und eine von der PA angeführte Vereinigung des Westjordanlandes mit dem Gazastreifen zu erreichen.
Vor allem aber bedeutet Russlands Kooperation mit der Axis of ResistanceRusslands Abschied vom Kampf gegen den islamistischen Terrorismus, den Wladimir Putin noch sehr eindrucksvoll in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag im Jahre 2001 beschworen hatte. In dieser Rede, die zwei Wochen nach den Anschlägen vom 11. September gehalten wurde, erklärte Putin den Kalten Krieg für beendet und wies darauf hin, dass die internationalen Konfliktlinien nicht mehr zwischen Ost und West verlaufen, sondern zwischen den aufgeklärten säkularen Staaten (einschließlich Russlands) und islamistisch fundamentalistischen Terrororganisationen und Staaten, durch die die ehemaligen Gegner im Kalten Krieg gleichermaßen bedroht seien.
Ernsthaft aufgegriffen wurde dieses Angebot des damals noch jungen russischen Präsidenten nie. Vielmehr ging die Entwicklung in eine völlig umgekehrte Richtung, was vor allem mit der amerikanischen Außenpolitik zu tun hatte, die in den Folgejahren maßgeblich von einer überparteilichen Allianz der Neocons geprägt war. Diese führte zu einer zunehmenden Isolierung Russlands in Europa und zum Zerfall arabischer Autokratien im Nahen Osten.
Mit der Aufnahme der ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten sowie der ehemaligen Sowjetrepubliken im Baltikum in die Nato wurde dem 1990 im Zusammenhang mit der deutschen Einheit und dem Fall des Eisernen Vorhangs diskutierten System kollektiver Sicherheit unter Einbeziehung Russlands Schritt für Schritt die Grundlage entzogen.
Die Regime-Change-Politik der Neocons führte zum Sturz der säkularen Autokratien im Irak und Libyen und zur fatalen Destabilisierung des Assad-Regimes in Syrien. An deren Stelle sind Failed States getreten, in denen die Warlords islamistischer Terrormilizen eine prekäre Macht ausüben, die eine dramatische Flüchtlingswelle ausgelöst hat.
Nicht vergessen werden sollte in diesem Zusammenhang, dass Katar, immerhin Standort des größten US-Militärstützpunkts im Nahen Osten und ab 2026 Deutschlands wichtigster Gaslieferant, diese Milizen großzügig finanziert hat.
Zwei hochrangigen israelischen Sicherheitsbeamten zufolge stellt die Vertiefung der militärischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und der „Achse des Widerstands“ eine zunehmende Gefahr für die Sicherheit Israels dar. Der Würgegriff an Israels Grenzen wird immer enger; der Iran kann innerhalb kürzester Zeit zu einer Atommacht werden; und terroristische Angriffe islamistischer Milizen bedrohen nicht nur Israel, sondern auch gemäßigte arabische Staaten; und die Aussicht, dass Russland dabei ist, die Seiten zu wechseln, macht die damit einhergehende Gefahr noch bedrohlicher.
Deutschland kommt in dieser Situation eine besondere Bedeutung und Verantwortung zu. Die Bundesrepublik hat nicht nur ihre Wiedervereinigung maßgeblich dem letzten Präsidenten der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, zu verdanken. Die Sowjetunion trug auch den höchsten Blutzoll im von Deutschland verbrochenen Zweiten Weltkrieg und befreite das Land schließlich gemeinsam mit den Westalliierten vom Faschismus.
Und vor dem Hintergrund des von Nazi-Deutschland zu verantwortenden Genozids an sechs Millionen europäischen Juden hat Deutschland eine besondere Beziehung zu Israel, dessen Existenzrecht Angela Merkel zu einem Teil der deutschen Staatsräson erklärte.
Indem Deutschland durch seine aktuelle Außenpolitik Russland isoliert und in die Arme der Revolutionsgarden und der Hamas drängt, trägt sie dieser historischen Verantwortung allerdings nicht Rechnung.
Israels ehemalige Premierministerin Golda Meir sagte einmal zu Bremens Bürgermeister Hans Koschnick, dass ihr internationale Unterstützung wichtiger sei als „materielle Ansprüche“. Folgen wir ihrer Argumentation, benötigt Israel nicht Waffenlieferungen an die Netanjahu-Regierung, sondern diplomatische Bemühungen, die die Kräfte schwächen, die die Sicherheit Israels gefährden, und umgekehrt die Staaten, Organisationen und Strukturen unterstützen, die einen Beitrag zu Frieden und Stabilität im Nahen Osten leisten können. Darunter fällt auch etwa die Wiederaufnahme des Betriebs der iranisch-irakisch-syrischen Gaspipeline, die gebaut wurde, um Wirtschaft und Wohlstand zwischen Mashhad und Beirut zu fördern.
Russland kann hier eine entscheidende Rolle spielen, denn Russland hat selbst ein erhebliches Interesse an der Eindämmung islamistisch-terroristischer Strömungen, wie gerade die jüngsten Terroranschläge in Moskau zeigen. Insofern kommt es darauf an, Moskau nicht weiter international zu isolieren, sondern als Partner und Bundesgenossen zu gewinnen im gemeinsamen Bemühen, die Bedrohung einzudämmen, die vom militanten Islamismus und namentlich den anti-westlichen Hardlinern im Iran ausgeht. Damit würden auch die gemäßigten arabischen Staaten, die auf wirtschaftliches Wachstum ausgerichtet sind und mit Djihad und Revolutionsexport nichts am Hut haben, gestärkt. Gleichzeitig würde hierdurch Druck auf Netanjahu ausgeübt mit der Folge, dass einer Lösung des Palästina-Konflikts wieder eine konkrete Perspektive eröffnet wird.
Deutschland ist größter Waffenlieferant an die Ukraine und es spricht vieles dafür, dass der Krieg ohne diese Waffenlieferungen nicht fortgeführt werden könnte. Hieraus resultiert eine besondere Verantwortung, alle Anstrengungen zu unternehmen, um den Krieg schnellstmöglich zu beenden und auf einen stabilen Frieden hinzuwirken.
Ob Russland sich auf Friedensverhandlungen einlässt, ist naturgemäß schwer zu sagen. Tatsächlich aber spricht vieles dafür.
Immerhin ist es offenkundig im Interesse Russlands, den religiös motivierten Terror einzudämmen und zu bekämpfen. Und auch die Verhinderung eines neuen Kalten Krieges zwischen Russland und dem Rest Europas dürfte im wohlverstandenen Interesse Russlands sein, das ansonsten Gefahr läuft, zum Juniorpartner Chinas degradiert zu werden. Insofern kann erneut an Putins Rede im Deutschen Bundestag erinnert werden, in der er darauf hinwies, dass Europa nur dann ein selbstständiger Faktor der Weltpolitik bleiben werde, wenn es seine Möglichkeiten mit den russischen Naturressourcen und Russlands Wirtschafts- und Kulturpotenzial vereinigt.
Dies gilt heute nicht weniger als im Jahr 2001 und vor diesem Hintergrund sollten wir die Hoffnung nicht aufgeben, dass es gelingt, die Mesalliancezwischen Russland und dem Iran aufzubrechen und gemeinsam für Stabilität im Nahen Osten zu sorgen, was Voraussetzung für die Sicherheit und Existenz Israels ist.
Insofern sollte sich die Bundesregierung ein Beispiel nehmen an Willy Brandt, der schon in seiner Zeit als Bundeskanzler darauf hinwies, dass „unsere Friedenspolitik in Europa ein Faktor weltweiter Entspannung sein kann“. So wie seine Entspannungspolitik seinerzeit zum Ende des Kalten Kriegs führte, könnte ein Ende der Isolation Russlands der Schlüssel für Stabilität im Nahen Osten sein.
Erschienen am 17.05.24 auf thepioneer.de
Biden’s Legacy ist die Anährung Russland an China gelungen . Wir haben uns vom russische/chinesische Joch befreit, damit wir mehr Freiheit und Unabhängigkeit geniessen . Dieser Weg ist für uns unumkehrbar .
Rhetorik : Russland wird isoliert oder wir haben uns selbst isoliert , hängt von der Betrachtung und Standpunkt der Betrachter ab.
Der Ukraine Krieg wird so wie der Korea - Krieg, Viet Nam Krieg oder Afghanistan Krieg enden !
Ein Glas ist runter gefallen . Wir können die Scherben zusammen kitten aber die Rissen sieht man noch .