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AutorenbildThomas Geisel

"Habeck fehlt der ordnungspolitische Kompass"

Welche Wirtschaftspolitik verfolgt das BSW? Ein Interview mit Thomas Geisel


Nach den Erfolgen bei den jüngsten Landtagswahlen gewinnt das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zunehmend an Bedeutung für die Bundestagswahl 2025.


Dabei stellt sich für Unternehmer die Frage: Welche Wirtschaftspolitik verfolgt das BSW

und welche Pläne hat das Bündnis? Thomas Geisel, BSW-Wirtschaftsexperte, ehemaliger Erdgaseinkaufsdirektor von E.ON Ruhrgas und Ex-Oberbürgermeister von Düsseldorf, spricht im DWN-Interview über die Fehlentscheidungen von Robert Habeck, wie er den Mittelstand unterstützen will und was das BSW von Helmut Kohl übernehmen möchte.


Herr Geisel, das BSW hat bei den Landtagswahlen in Brandenburg,

Sachsen und Thüringen mit jeweils zweistelligen Ergebnissen die etablierten

Ampelparteien überholt. Welche politischen und gesellschaftlichen Faktoren

waren Ihrer Meinung nach ausschlaggebend für diesen Erfolg?


Eine maßgebliche Ursache ist natürlich die weit verbreitete Unzufriedenheit mit der aktuellen Politik, insbesondere der Ampel, aberauch schon der Merkel-Jahre. Diese Unzufriedenheit ist ja auch berechtigt. Wir haben 20 Jahre von der Substanz gelebt. Unsere Verkehrsinfrastruktur ist mittlerweile in einem beklagenswerten Zustand. Bei der digitalen Infrastruktur sind wir weitgehend abgehängt verglichen nicht nur mit unseren Nachbarländern, sondern auch mit klassischen Schwellenländern. Die deutsche Wirtschaft schrumpft und trotz Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz verzeichnen wir keinen nennenswerten Produktivitätsfortschritt. In den neuen Bundesländern kommt dann noch eine spezifische Ostbefindlichkeit hinzu, die auch mit politischen Fehlentscheidungen der unmittelbaren Nachwendezeit zu tun hat.


In einem Interview mit "Der Freitag" werden Sie zitiert: „Mit vernünftiger Wirtschaftspolitik kriegt man die AfD klein.“ Was meinen Sie damit?


Vernünftige Wirtschaftspolitik hat vor allem einen ordnungspolitischen Kompass hat. Das Godesberger Programm der SPD von 1959 basiert auf dem Grundsatz: „So viel Staat wie nötig, so viel Markt wie möglich.“ Das ist die Grundlage vernünftiger Wirtschaftspolitik. Staat und Politik setzen die Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich die Wirtschaft entfalten kann. Was wir in den letzten Jahren gesehen haben, ist das Gegenteil.


Robert Habeck, aber das galt auch schon für seinen Vorgänger Peter Altmeier von der

CDU, lebt in der Vorstellung, der Staat könne und müsse die wirtschaftliche Entwicklung in allen Einzelheiten steuern. Was dabei herauskommt ist ein bürokratisches Micromanagement, das viel Steuergeld verschlingt und unternehmerische Initiative hemmt.

Gleichzeitig versagt die Wirtschaftspolitik da, wo sie gebraucht wird. Etwa bei der Infrastruktur. Es war ein großer ordnungspolitischer Fehler, nach der Liberalisierung der Energie- und Telekommunikationsmärkte die entsprechenden Netze nicht in staatliche Hand zu nehmen. Das ist auch ein Grund, weshalb die Energiewende nicht gelingt und wir bei der Digitalisierung hinterherhinken, Denn diese Netze sind natürliche Monopole, deren Ausbau nicht unter Profitabilitätsgesichtspunkten erfolgen darf, sondern gesamtwirtschaftliche Zielsetzungen im Blick haben muss.


Das BSW betont, dass es mehr als nur Protestwähler anspricht, sondern mit einer Politik der Vernunft und sozialen Gerechtigkeit punkten möchte. Was sind die zentralen Ansätze, die das BSW hier verfolgt?


Es geht darum, die Balance zwischen wirtschaftlicher Vernunft und sozialer Gerechtigkeit herzustellen. Wir stehen für einen starken Sozialstaat: Wer Hilfe braucht - sei es aufgrund von Alter, Krankheit oder anderen Gründen - muss auf den Staat zählen können. Aber Solidarität ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Wer in der Lage ist, sich selbst zu helfen, von dem kann der Staat das auch erwarten. Es geht darum, Menschen zu unterstützen

und zu befähigen, nicht darum, sie zu Almosenempfängern zu machen. Deshalb lehnen wir beispielsweise auch ein bedingungsloses Grundeinkommen ab.


Kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) bilden das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Welche spezifischen Maßnahmen plant das BSW, um diese Unternehmen zu entlasten und zu fördern, insbesondere in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation?


KMUs leiden besonders unter dem bürokratischen Dilettantismus, wie er gegenwärtig in Berlin und Brüssel praktiziert wird. Das gilt besonders für die ganzen Förderprogramme. Die sind oft so kompliziert, dass kleine Unternehmen gar nicht die Kapazitäten haben, um sich darauf zu bewerben. Damit bewirken sie das Gegenteil von dem, was sie erreichen wollen: sie verzerren den Leistungswettbewerb und bremsen KMUs aus.


Die steigenden Energiekosten belasten viele Unternehmen. Was schlägt das BSW konkret vor, um KMUs in dieser Hinsicht zu unterstützen? Und wie positioniert sich das BSW in der Frage der Sanktionen gegen Russland?


Zunächst einmal müssen wir uns ehrlich fragen, wem wir mit den Sanktionen gegen Russland wirklich schaden. Russland ist davon ganz offensichtlich weniger betroffen als unsere eigene Wirtschaft.


Wir haben russisches Pipeline-Gas durch LNG ersetzt. Dabei handelt es sich um amerikanisches Fracking-Gas, das erst aufwendig verflüssigt, bei extrem kalten Temperaturen übers Meer transportiert und dann wieder regasifiziert wird. Und die Rechnung geht an Katar, ein Land, das jahrelang Hauptfinanzier der terroristischen Hamas war. Das ist offenkundig nicht nur sehr teuer, sondern auch ökologisch und politisch äußerst fragwürdig!


Was wir brauchen, ist eine realistische Energiepolitik, die auf die Bedürfnisse der deutschen Industrie und des Mittelstands eingeht.


Welche wären das?


Vor allem geht es um bezahlbare Energiepreise. Die Strompreise für die Wirtschaft in Deutschland sind doppelt bis dreimal so hoch wie in Amerika. Viele Kostenfaktoren wie Netzentgelte und Umlagen für erneuerbare Energien werden in Deutschland auf die Stromrechnung abgewälzt; hinzu kommen Stromsteuer und Umsatzsteuer. Das gehört alles auf den Prüfstand.


Die Diskussion um einen Industriestrompreis sehe ich hingegen skeptisch. Der würde voraussichtlich nur großen Konzernen helfen, während KMUs außen vor bleiben und letztlich noch höhere Preise zahlen müssten.


Gerade sind erste Ankündigungen der SPD für den kommenden Bundestagswahlkampf im Gespräch. Einerseits sollen Steuerentlastungen für 95 Prozent der Zahlenden her, andererseits für die obersten 1 Prozent eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 48 Prozent. Die CDU zeigt sich fassungslos. Was sagt das BSW dazu?


Mit Verlaub, das ist ein populistisches Wahlkampfmanöver. Natürlich ist es vernünftig, den starken Anstieg der Steuerprogression gerade bei mittleren Einkommen zugunsten einer linearen Progression abzuschaffen und den Spitzensteuersatz bei sehr hohen Einkommen zu erhöhen. Man fragt sich nur, weshalb das nicht schon lange geschieht. Immerhin führt die SPD seit drei Jahren die Bundesregierung. Mich erinnert das ein wenig an die Dis-

kussion um den Mindestlohn. Da hat die SPD zunächst den Antrag des BSW

auf eine Erhöhung auf 14 Euro abgelehnt, um anschließend 15 Euro zu fordern.


Apropos Mindestlohn: Wie positioniert sich das BSW dazu?


Wir sind der Auffassung, der gegenwärtige Mindestlohn ist schon deshalb zu niedrig, weil er zuletzt um einen viel geringeren Prozentsatz gestiegen ist, als das Bürgergeld. Damit schafft man keinen Anreiz zu regulärer Arbeit, sondern zu Bürgergeldbezug mit gelegentlicher Schwarzarbeit. Nach der Mindestlohnrichtlinie, den das Europäische Parlament beschlossen hat, müsste der Mindestlohn in Deutschland übrigens bei mindestens 14 Euro liegen. Ich finde es schon bemerkenswert, dass Deutschland ausgerechnet beim Mindestlohn europarechtliche Verpflichtungen ignoriert, wo wir ja ansonsten immer der Musterschüler sind, wenn es darum geht, Vorgaben aus Brüssel noch weiter zu verschärfen.


Lassen sie uns noch einmal auf Russland zurückkommen. Ihre Partei spricht sich für eine Verringerung der Sanktionen und ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine aus.


Wie bewerten Sie diese Ansätze in der aktuellen geopolitischen Lage und ihre Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft?


Ich habe es ja bereits erwähnt: Die Sanktionspolitik ist in erster Linie selbstschädigend, denn sie trifft uns viel stärker als den Adressaten. Als ein Land, dessen wirtschaftliche Prosperität ganz maßgeblich von intakten internationalen Handelsbeziehungen abhängig ist, sollten wir uns generell gegen Handelskriege und Wirtschaftssanktionen positionieren.


Was die Waffenlieferungen angeht, ist unsere Position sehr klar: Mehr Waffen an die Ukraine bringen keinen Frieden, sondern sorgen nur dafür, dass der Konflikt immer weiter eskaliert, immer mehr Menschen sterben und die Kosten des Wiederaufbaus immer weiter steigen.


Und ganz ehrlich: wenn wir bedenken, wie hoch allein die Kosten für die Beseitigung des Investitionsstaus im eigenen Lande sind, werden wir uns die Kosten für immer weitere

Waffen und Aufbauhilfe für die Ukraine auf Dauer gar nicht leisten können. Auch deshalb ist es höchste Zeit, diesen Krieg auf dem Verhandlungswege zu beenden.


Ihr Parteikollege Fabio De Masi hat betont, dass das Steuerdumping großer Tech-Konzerne zu Lasten des Mittelstands beendet werden muss, zum Beispiel durch Straf- oder Quellensteuern. Teilen Sie diese Forderung - und wie könnten solche Maßnahmen in der Wirtschaftspolitik des BSW verankert werden, insbesondere im Hinblick auf den Bundestagswahlkampf 2025?


Ja, ich teile diese Forderung und würde sogar noch etwas hinzufügen wollen. Es geht auch um faire Wettbewerbsbedingungen. Ein Beispiel: Online-Händler, allen voran Amazon sind die größten Konkurrenten des stationären Einzelhandels. Der stationäre Einzelhandel zahlt seine Steuern in Deutschland, Gewerbesteuer an die Kommune und die Miete für sein Ladenlokal. Amazon hingegen sucht sich eine Steueroase, wo praktisch keine Unternehmenssteuern gezahlt werden, zahlt keine örtliche Gewerbesteuer und nutzt unentgeltlich den öffentlichen Straßenraum, um seine Waren auszuliefern. Das ist nicht nur ungerecht, wenndie größten Profiteure der Globalisierung und Digitalisierung praktisch nichts zum Gemeinwohl beitragen; das ist auch eine gravierende Wettbewerbsverzerrung, die nicht geduldet werden sollte.


Letzte Frage: Hat das BSW das notwendige Personal, um die von Ihnen skizzierte Wirtschaftspolitik im Bundestagswahlkampf 2025 effektiv zu vermitteln, insbesondere angesichts der Herausforderungen und der Konkurrenz durch etablierte Parteien?


Nun, die personelle Konkurrenz durch die etablierten Parteien finde ich nicht sonderlich bedrohlich. Die meisten Köpfe in diesen Parteien sind dieselben, die für die derzeitige Misere verantwortlich sind. Wir beim BSW sind bereit, Impulse von außen aufzunehmen und neue Talente einzubinden. Das BSW ist kein „closed shop“, in dem Pöstchen untereinander verteilt werden. Wir haben den Anspruch, uns offen für Talente und personelle Alternativen von außen zu zeigen. Der letzte Politiker, der in großem Stil Talente von außen in die Politik geholt hat, war übrigens Helmut Kohl. Ohne ihn hätten Persönlichkeiten wie Rita Süssmuth, Richard von Weizsäcker, Norbert Blüm und Heiner Geissler wohl nie eine politische Karriere gemacht. Das war nicht unbedingt bequem für ihn, aber dem Land und der Politik hat es gutgetan.


Herr Geisel, vielen Dank für das Gespräch.


Info zur Person: Thomas Geisel, Jahrgang 1963, ist ein deutscher Politiker, der seit Juli 2024 Mitglied des Europäischen Parlaments für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ist. Zuvor war Geisel von 2014 bis 2020 Oberbürgermeister von Düsseldorf. Geisel war 40 Jahre lang Mitglied der SPD, aus der er im Januar 2024 austrat, um sich dem BSW anzuschließen,

wo er im Juni 2024 als Spitzenkandidat erfolgreich in das Europäische Parlament gewählt wurde.


Das Interview ist auch unter folgendem Link über die Website der Deutschen Wirtschaftsnachrichten abrufbar:

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